written by Nina 1.12.2016
Nichts beschreibt diese Band besser als ihre eigenen Worte. Von den Medien und „Spezialisten“ schon seit Jahrzehnten kritisiert und an verstaubter Vergangenheit festgenagelt, lassen sich die Böhsen Onkelz jedoch von Antijournalismus und vorwurfsvollen Vorurteilen nicht die Stimmung verderben. Und das zurecht, denn sie haben sich nichts vorzuwerfen.
Was? Eventuell bilde ich es mir nur ein, aber habe ich gerade ein entrüstetes Husten wahrnehmen können? – Sie haben sich doch nicht an ihrer Frühstückssemmel verschluckt?
Nichts vorzuwerfen? Wie kann ich sowas bloß sagen? Nazis! Kriminelle! Drogensüchtige Alkoholiker!
Wer diese Meinung vertritt sollte den Gebrauch des roten Kästchens mit dem weißen „X“ in der rechten oberen Ecke des Bildschirms eventuell in Erwägung ziehen, denn in diesem Bericht geht es nicht um verstaubte Geschichten und längst eingebüßte Fehler aus der Vergangenheit der vier Frankfurter. Wer es jedoch schafft über seinen Schatten zu springen, die Scheuklappen abzunehmen, Vorurteile auf die Seite zu schieben und seinen Horizont um ein Minimales zu erweitern, ist herzlichst eingeladen weiterzulesen.
Die Böhsen Onkelz – ein verschrienes, längst totgeglaubtes Phänomen hat nie an Präsenz verloren! Hat man auch knapp 10 Jahre nichts von ihnen gehört, haben sie immer weitergelebt. Nicht durch Skandale oder mediale Aufmerksamkeit, sondern einzig und allein durch ihre Musik und ihre Familie – la familia. Das hat man spätestens 2014 am Hockenheimring miterleben dürfen, als die Band ohne jegliche mediale Unterstützung in kürzester Zeit 200.000 Tickets verkaufte.
Wer jemals mit offenen Augen durch ein Onkelz Publikum marschiert ist erkennt, neben dem überdurchschnittlich hohen Alkoholkonsum (Ja, der ist tatsächlich nicht nur ein Gerücht) auch etwas anderes. Etwas Außergewöhnliches. denn es ist kein Nebeneinander, sondern Miteinander Sein. Jeder Anwesende wird binnen Sekunden zum Langzeitbekannten, zu Bruder oder Schwester degradiert. Und zwar völlig egal hinter welcher politischen Partei man steht, ob man mit Glatze und Springerstiefeln oder Jutesack zum Konzert kommt, denn all diese Dinge spielen keine Rolle – Hauptsache man trägt die Onkelz sichtbar am T-Shirt oder wenigstens unter der Brust… und das merkt man schon vor der Halle.
Je näher ich der Stadthalle komme umso mehr freundliche Gesichter umgeben mich. Gut gelaunte Menschen die einen anlächeln und gemeinsam auf die kommenden Stunden anstoßen. Egal ob vor der Halle, am Merchandisestand, an der Bar oder bei der Garderobe – man grüßt sich, spricht miteinander, singt gemeinsam. Völlig egal wie hoch der Unterschied in Alter, Konfektionsgröße oder der nachweisbare Promillewert ist. Sogar die anwesenden Polizisten werden gegrüßt. Sie scheinen aufmerksam aber gut gelaunt.
Natürlich gibt es schon zu Beginn genügend Besucher die zu tief ins Glas geschaut haben. Das kann und will ich nicht leugnen, aber auf welchem Rock Konzert ist das nicht so?
Nach langem Hin und Her – Merchandisestand-, Bar- und Garderobebesuch hat es uns nach der Vorband dann auch auf unseren „Sitzplatz“ verschlagen. Nein, ich schäme mich nicht dafür ein Sitzplatzticket gekauft zu haben, denn ich weiß genau, dass auch hier kaum gesessen wird. Allerdings ist die Sicht definitiv besser als in der Menge zwischen pogenden, tanzenden, verschwitzten, feiernden Besuchern. Wobei ich sagen muss, dass ihr Anblick mir schon Gänsehaut beschert. Das Publikum brodelt, singt Chöre und feiert – auch ohne Livemusik.
Doch dann geht es los. es wird dunkel… und es wird weitergesungen „Oh wie ist das schön…“. Die Band lässt sich Zeit, genießt noch den Gesang ihrer Schützlinge – verständlich! Als sie die Bühne betreten verstummt dieser jedoch schlagartig und die ersten Töne von „Gott hat ein Problem“ durchbrechen die Stille.
Trotz rosaroter Brille für jede Lebenslage:
Freunde sind nicht käuflich
und Liebe nicht für Geld zu haben.
Irgendwas für Nichts
Wo soll ich anfangen? Fangen wir bei der Bühne an:
Das „Bühnenbild“ besteht aus unzähligen Scheinwerfern und LED-Wänden die sich auf verfahrbaren Trussen befinden. Der Bühnenhintergrund besteht aus fünf drehbaren Towern, die je nach Bedarf LED-Wände oder Scheinwerfer zum Vorschein bringen. Auch auf der Bühne gibt es lichttechnisch einiges zu sehen. Die Ausstattung ist gewaltig. Der Einsatz hingegen ein klein bisschen ernüchtert. Natürlich ist die Show gigantisch. Jede Position, jede noch so kleine Bewegung sieht mächtig aus, wenn dutzende Scheinwerfer parallel oder synchron zusammen agieren. Das ist kein Geheimnis. Von der LED-Wand habe ich mir allerdings mehr erwartet. Mir fehlt das gewisse Etwas – die Besonderheit der eingespielten Videos. Einzig die Bilder zu „Kirche“ passen wie Faust aufs Auge und erzeugen bei mir Gänsehaut. Der Rest bleibt hochwertig – doch mir fehlt einfach der „WOW-Effekt“. Auch tontechnisch glänzt die Stadthalle wie gewohnt eher in einem verstaubten Grauton.
Wir waren mehr als Freunde
Wir warn wie Brüder
Viele Jahre sangen wir
Die gleichen Lieder
Nur die Besten sterben jung
Du warst der Beste
Nur die Besten sterben Jung
Trotzdem wirkt die Show gewaltig und groß. Außerdem bleibt auch der „WOW-Effekt“ nicht aus. Er kommt durch die Stimmung in der Halle und durch die Band selbst. Das Miteinander zwischen den Musikern und dem Publikum ist wunderschön. Stephan Weidner bekundet schon zu Beginn der Show, dass er stimmlich eingeschränkt ist und das Publikum um Hilfe bitten muss. Man könnte an dieser Stelle natürlich auch seine stimmliche Leistung kritisieren. Ich muss jedoch sagen, dass solche Dinge einfach nur menschlich sind – fehlende Stimme bei diesen Belastungen und dem aktuellen Traumwetter ist wohl niemandem fremd. Das ist schnell verziehen.
Umso mehr glänzt die restliche Band und die instrumentalische Leistung der Onkelz. Dass eine Liveshow dieser Größe nicht fehlerfrei und makellos ist, muss ich eigentlich auch nicht erwähnen. Ich tue es aber dennoch, denn ich möchte hier nichts verherrlichen oder schönreden und so gut ich kann „objektiv“ bleiben – bei einer Band wie den Böhsen Onkelz ist das Wort „objektiv“ natürlich Ansichtssache. Aber nun zurück zu den Makeln des ausverkauften Konzerts, denn wie schon erwähnt ist auch diese Show nicht fehlerfrei abgelaufen.
Du bezahlst für ihren Segen
Für die Angst vor dem Tod
Dein Geld hält sie am Leben
Gibt ihnen ihr täglich Brot
Du hängst an ihren Lippen
Und Du glaubst, dass Du sie brauchst
Dann klammer Dich an sie
Bis Du verfaulst
Kirche
So kommt es gleich zu Beginn der Show zu einem Problem mit den In-Ears des Frontsängers Kevin Russell. Ärgerlich, aber schnell behoben. Als hätte das nicht gereicht folgen kurze Zeit später auch Differenzen am Schlagzeug. Ein Mikrofon für die Abnahme, beschließt kurzerhand in den Streik zu treten. „Wien, das läuft ja großartig“, lacht Stephan das Geschehene einfach weg. Wenige Minuten später scheint all das auch schon wieder vergessen.
Komm und sag mir was ich meine
Komm und sag mir wer ich bin
Analysiere mich, finde nichts
Und bleibe ein dummes Kind
Danke für Nichts
Die Show geht weiter und die Stimmung ist geladen. Immer wieder feiern die Besucher ihre Idole mit Jubelgesang und Tanzeinlagen. So muss die Band während des Konzerts mehrmals pausieren und den tausenden singenden Stimmen lauschen. Gänsehautmoment!
Besonders laut wird es bei den altbekannten Liedern wie „Nie wieder“, „Lieber stehend sterben“, „Gehasst, verdammt, vergöttert“, „Danke für nichts“, „Bomberpilot“, „Auf Gute Freunde“.
Anders ist es tatsächlich bei den neuen Liedern. Auch wenn das Album „Memento“ schon nach wenigen Tagen Goldstatus und in Deutschland, Österreich und der Schweiz die Nummer eins der Albumcharts erreicht hat, scheinen die neuen Texte und Lieder noch nicht allen bekannt zu sein. Oder es liegt einfach an der allgemeinen Verbundenheit zu den alten Songs.
Nummern wie „Irgendwas für nichts“, „52 Wochen“, „Mach’s dir selbst“ werden zwar mitgesungen, aber die völlige Ekstase bleibt aus. Einzig das neue Lied „Auf die Freundschaft“ bringt das Publikum wieder auf Hochtouren. Weniger verwunderlich, wenn man sich den Text anhört. Sie singen von dem Verbund zwischen Ihnen und den Fans – die gemeinsame Vergangenheit und das starke Band, das immer gehalten hat. So animieren Sätze wie
„Wir für euch, ihr für uns – wir gegen die“
oder
„1000 Bilder und Tattoo's
die Ihr uns zu Ehren tragt
Egal was das noch kommt
Ganz egal was einmal war
Ein Herz, ein Kopf, ein Arsch“
natürlich nicht nur zum Mitsingen, sondern auch zum Anstoßen. Ein bisschen erinnert das Lied auch an den Evergreen „Auf Gute Freunde“. Welcher auch als letzte Nummer das offizielle Set schließt.
Doch wenn eines klar ist, dann das Wien noch lange nicht genug hat. Es wird gegrölt, geklatscht, gesungen. Von Heimgehen gar nicht erst zu reden.
Manchmal ist es ganz schön hart
Doch jede eurer Lügen macht uns stark
Na, Du kleiner Scheißer hör' mir zu
Hier sind die Onkelz
Wer bist Du?
Gehasst, verdammt, vergöttert
Natürlich weiß ein richtiger Onkelz Fan auch, dass es nur eine Nummer gibt, die ein Konzert der vier Frankfurter tatsächlich und endgültig schließt. Solange die nicht gespielt ist, wird weitergefeiert. Und zwar völlig egal, ob die Band auf der Bühne steht, oder eben nicht.
Und das wissen natürlich auch die Böhsen Onkelz selbst. Nach einer kurzen Pause holen die Vier noch für ihre letzten Nummern aus.
„Wir haben noch lange nicht genug“ und „Kirche“ eröffnen den Abschluss der Show. Und dann kommt das Lied, das zum aller letzten Mal zum Tanzen auffordert. „Mexico – Mexico – Mexico“. Die Wiener Stadthalle weiß genau, dass es Zeit wird. Schnell werden noch T-Shirts ausgezogen, ein letzter Schluck vom Bier genommen und dann geht es los. „Ihr wollt Mexico? – Könnt ihr haben!“. Dieser Augenblick ist nahezu nicht in Worte zu fassen, denn mit den ersten Tönen dieses Liedes, wird der Ausnahmezustand ausgerufen. Alles tanzt, springt, pogt. Becher fliegen bis an die Hallendecke, Tshirts folgen. Die Band gibt alles, die Fans geben alles – die Halle brennt.
Völlig ausgepowert ist nun auch der letzte Besucher bereit für den krönenden Abschluss. „Erinnerungen“ – das Lied das seit Jahrzehnten den Abschluss jedes Onkelz-Konzerts bildet beginnt. Die Stimmung ändert sich – wird ruhiger. Das Tanzen hört auf und man konzentriert sich aufs Mitsingen. Der letzte Gänsehautmoment des Abends bricht an. Und dann… ist es vorbei. Nach zwei Stunden Ekstase geht das Konzert zu Ende.
Wir sollen bezahlen für das was hier passiert Wir tragen die Schuld für euch, die ihr regiert Niemand kennt die Wahrheit Doch ihr wollt uns belehren Eure Last auf unseren Schultern Nur das haben wir nicht gern
Lieber stehend Sterben
Ich muss gestehen, dass ich das nicht erwartet habe. Ich habe mit vielem gerechnet, doch nicht mit so einer Stimmung – nicht in Wien. Ich muss mir eingestehen, dass ich das Wiener Publikum noch nie so erlebt habe – springend, schreiend, tanzend und lebendig – von der ersten bis zur letzten Minute. Und ich traue mich zu behaupten, dass ich schon das ein oder andere Konzert in Wien erleben durfte.
Trotz des miesen Tons und trotz stimmlichen Patzern, die sich die Band zeitweise erlaubt hat, war es grandios – groß – einzigartig.
Ich hoffe ich konnte euch die Augen öffnen. Euch wenigstens ein bisschen zeigen, dass nicht immer alles so ist, wie man denkt. Es ist nicht alles schlecht, was die Medien nicht hochleben lassen. Es gibt Menschen die Fehler machen – die wird es immer geben. Aber es gibt auch Menschen, die Fehler verzeihen. Man trifft oft falsche Entscheidungen. Vor allem wenn man jung ist oder in etwas reinrutscht, das man nicht mehr kontrollieren kann.
Das wichtigste ist doch, aus Fehlern zu lernen, sich Zeit zu nehmen und Dinge einzugestehen, an sich zu arbeiten und etwas aus seinem Leben zu machen.
Denkt mal darüber nach, bevor ihr urteilt. Egal über wen! Egal ob über Musiker oder den Nachbarsjungen. Egal ob jung oder alt. Egal ob Mann oder Frau…
Ich heb' das Glas
Auf das, was werde
Auf Euch und die Sterne
Auf das, was Ihr in Haut und Herzen tragt
Auf die Freundschaft
Onkelz ist mehr als einen Heckscheibenaufkleber am alten VW oder grölend in der Menge stehen.
Onkelz ist eine Familie die sich auch nach jahrelangem Scheintot nicht den Rücken zukehrt.
Eine Verbundenheit die weit über politische Einstellung, Glauben und Herkunft hinweggeht und über Vorurteile und Fehler hinwegsehen kann. Die verzeihen kann und nicht alles glaubt was man versucht einem einzureden. Die Dinge hinterfragt und nicht nur stumpfe Partylieder singt…
Ein Onkel zu sein bedeutet viel viel mehr…
Hey, ihr da draußen! Mein Name ist Nina und lebe in Österreich. Schon seit früher Kindheit ist die Musik ein wichtiger Bestandteil meines Lebens – ein Bestandteil, den ich nicht missen will. Nichts macht mich so glücklich, wie in einer Menge von Menschen zu stehen, die das Gleiche fühlen und denselben Moment leben – glücklich sind während sie jeden Ton der Musik spüren und jedes Wort in sich aufnehmen, welches durch den Raum hallt. Immer wieder verschlägt es mich zu diversen Konzerten, die mich verzaubern und die mein Leben um einiges bunter und aufregender gestalten. Über diese Konzerte will ich euch berichten und freue mich, meine Erlebnisse mit euch teilen zu dürfen.